Die Kunst als Zeugenaussage

Einleitung

Die Erforschung des II. Weltkriegs heutzutage berücksichtigt nicht nur die Kriegsursachen, die Schlachten oder die Heldentaten sondern auch die Opfer. Und die Juden in Europa waren zweifellos Opfer und zwar einer ungewöhnlichen Art. Sie wurden systematisch und organisiert verfolgt, nicht aufgrund einer von ihnen begangenen Tat, sondern aufgrund dessen, was sie waren. Jahrzehnte lang, insbesondere gleich nach dem Krieg, waren die Vernichtung der Juden sowie die Ausplünderung ihrer Vermögen hinter einem Schleier des Schweigens versteckt oder aber zeichneten sich durch Tendenzen der Verdrängung aus dem kollektiven Gedächtnis aus.

Die Rekonstruktion der Erinnerung und somit auch der Diskussion über das Trauma des Holocaust stellt ein ziemlich neues Phänomen dar. Erst 2004 ist der 27. Januar zum offiziellen Gedenktag des Holocaust ernannt worden. Darüber hinaus trugen die öffentlichen Stellungnahmen vieler Politiker über den Holocaust zur Hervorhebung von verdrängten Ereignissen bei. Zum Beispiel der erste Marsch im März 2013 zum Gedenken an die Opfer der Stadt Thessaloniki (anlässlich des Datums an dem im März 1943 der erste Zug nach Ausschwitz-Birkenau abgefahren ist).

Es gibt jedoch noch einen Grund, der die Präsenz der Juden auf einer Webseite über den II. Weltkrieg obligatorisch macht. Eine vor kurzem durchgeführte Studie der Universität Makedonien zeigte, dass die Verhältnisse der wirtschaftlichen und politischen Krise in Griechenland antisemitische Mythen neu belebt und vorhandene Stereotypen gestärkt haben. Darüber hinaus trägt das niedrige Niveau des sozialen Vertrauens dazu bei, dass ein Anstieg des Antisemitismus -vor allem bei jungen Generationen- verzeichnet wird.

Aus all diesen Gründen ist es notwendig, dass die Geschichte der Juden in Griechenland präsentiert wird. Unter Berücksichtigung der lückenhaften historischen Kenntnisse der Jugendlichen werden in der griechischen Version der Webseite zwei „Lehrpläne" vorgestellt. Der erste betrifft das Leben der Juden vor 1940 und präsentiert jüdische Gemeinden in Griechenland. Dabei wird in einem Versuch des Abbaus des Stereotyps „Jude ist gleich reich" auf ihre beruflichen und gesellschaftlichen Verhältnisse vor dem II. Weltkrieg eingegangen. Dieser Lehrplan ist in der englischen und deutschen Version nicht verfügbar.

Der zweite Lehrplan betrifft den Zeitraum 1940-1945. Diese thematische Einheit wird nachfolgend ausführlich präsentiert, nicht als Lehrplan sondern als Informationsmaterial. Mit Hilfe der bildenden Kunst informiert sich das Publikum über die dunkelste Seite des Kriegs, nämlich den Holocaust. Die Auswahl der Kunst als Zeugenaussage ist nicht zufällig. Die ausgewählten Gemälde sind von KZ-Häftlingen angefertigt, die somit ihre Erlebnisse festgehalten haben, indem sie nicht der Logik einer treuen Darstellung, sondern des Ausdrucks des Schmerzes und des Traumas folgten, was für alle Menschen gleichbedeutend ist.

Inhalt

Diese thematische Einheit beschäftigt sich mit dem allgemeinen Beitrag der Kunst zur Darstellung bedeutender historischer Ereignisse. In diesem Fall ist Holocaust das historische Ereignis, anschließend können jedoch durch die Kunst weitere historische Ereignisse erforscht werden, wobei das persönliche Erlebnis des Künstlers einen besonderen Wert erhält. Hier waren die Künstler Menschen, die das Schrecken der Konzentrationslager erlebt haben. Nicht alle waren Juden oder im gleichen Lager inhaftiert. Sie stellten aber ihre Erlebnisse mit solch einer Intensität dar, dass sie weder Schrecken noch Abscheu verursachen, so wie dies das authentische Foto- und Filmmaterial aus den Vernichtungslagern tun, nämlich die abgemagerten Körper oder die Leichenberge.

Vielmehr erweckt die bildende Kunst Gefühle des Mitleids mit den leidenden Mitmenschen und pflegt die Sensibilisierung vor der Unmenschlichkeit und der Barbarei des Krieges. Schließlich zeigt sie, dass die Ästhetik und die Künste kein Luxus für wohlhabende Menschen sind, sondern ein Bedürfnis, das aus dem Leben selbst und um des Lebens willen entsteht.

Spiele

Hier werden zwei Aktivitäten zum Thema Holocaust vorgestellt, die jedoch unterschiedliche Ziele haben. Das erste Spiel, „Das Spiel der Zeugenaussagen" hat zum Ziel, dass die Spieler über „entdeckende Techniken" Geschichts-, Welt- und Vergangenheitskenntnisse erwerben. Mit Hilfe der thematischen Kategorien des Spiels entsteht die Hauptachse der neuen Kenntnisse hinsichtlich des Schicksals der Juden in Europa im Zeitraum 1940-1945.

Das zweite Spiel, „Das Spiel von Dora" ist ein Rollenspiel, das François Le Lionnais im Arbeitslager Dora gespielt hat. Es handelt sich um ein Spiel, womit zwei notleidende Häftlinge ihre menschliche Natur geschützt haben, während alles, was um sie herum geschah (Unterernährung, Elend, Tod) sie von ihrer menschlichen Natur entfernte. Dieses Spiel führt die Spieler in die Malerei ein und hebt das Freiheits- und Kreativitätsgefühl hervor sowie den Optimismus, den die Kunst bietet.

Nach den Spielen können weitere Aktivitäten hinzugefügt werden, z.B. dass die Spieler eine Collage aus Gemälden und Texten zusammenstellen, sodass sie ein weiteres historisches Ereignis über die Kunst darstellen, wie z.B. in diesem Fall den griechisch-italienischen Krieg.

Das Spiel der Zeugenaussagen

Im Spiel der Zeugenaussagen werden die Spieler in Gruppen von 2-4 Personen aufgeteilt. Ziel: die gemeinsame Erforschung des Holocaust. Die präsentierten Gemälde müssen für die Spieler einen Sinn erhalten. Dazu helfen die sechs großen Zuordnungskategorien. Diese Kategorien sind konkret und ihre Namen helfen bei der Entschlüsselung des Sinnes der Zeugenaussagen:

  • Das Leben in einem Versteck
  • Das Leben in einem Konzentrationslager
  • Das Leben in einem Vernichtungslager
  • Kinder
  • Nazis
  • Kapo

Diese Auswahl deckt ein breites Spektrum von Motiven, die das Werk der Opfer prägen und gibt Anlass zur weiteren Studie. Bevor das Spiel beginnt, muss man folgendes wissen:

  • Ein Gemälde kann mehreren Kategorien zugeordnet werden
  • Die Benotung der Gruppen berücksichtigt nicht nur die erfolgreiche Zuordnung sondern auch die Schnelligkeit.

Die ausführlichen Spielregeln finden Sie hier.

Dieses Spiel bringt die Spieler in Kontakt mit Kunstwerken, bereichert ihre künstlerischen Erfahrungen und steigert das Einfühlungsvermögen. Über die vielfachen Zuordnungskategorien können die Spielteilnehmer die unterschiedlichen Interpretationen eines Ereignisses nachvollziehen. Sie versetzen sich in den optischen Blick der Figuren einer Geschichte hinein und entsprechend der Kategorie übernehmen sie eine Rolle.

Das Spiel der Zeugenaussagen

Das Spiel von Dora

Ergänzend zum ersten Spiel ist das Spiel von Dora. Als Inspiration dazu diente ein Essay von François Le Lionnais, in dem beschrieben wird, wie zwei Häftlinge im nationalsozialistischen Arbeitslager Dora, die Kunst benutzt haben, damit sie gedanklich der schrecklichen Realität, in der sie lebten, entfliehen konnten. Der eine Häftling beschrieb dem Anderen ein Gemälde und er sollte es gedanklich zusammensetzen, obwohl er es nie gesehen hatte. Es handelt sich dabei um die sogenannte „Hirn-Malerei".

Das Spiel wird am Computer gespielt, könnte aber auch mit traditionellen Mitteln gespielt werden, nämlich mit Papier und Buntstiften. Vier Gemälde aus verschiedenen Zeiten und Stilrichtungen wurden aus dem Essay von Le Lionnais ausgewählt. Ihre einzelnen Eigenschaften - Gesichter, Körper, Objekte -, die dort dargestellt sind, wurden dem Gemälde entnommen und entsprechenden Kategorien zugeordnet. Ziel des Spiels ist, dass die Spieler diese Gemälde nicht gedanklich sondern in ihrem Computer bzw. auf Papier rekonstruieren. Weitere Beschränkungen der Spielregeln, z.B. Zeitfaktor, eingeschränktes Vokabular, könnten den Schwierigkeitsgrad allmählich steigen lassen. Die ausführlichen Spielregeln finden Sie hier.

Das Spiel von Dora

Le Lionnais

François Le Lionnais war ein französisch-jüdischer Widerstandskämpfer, Wissenschaftler und Kunstliebhaber. Er war im Lager Mittelbau-Dora im Harz inhaftiert. Ein großer Teil des Lagers war zum Schutz der Waffen vor den Bombardements der Alliierten und zum Zusammenbau von Raketenteilen unterirdisch gebaut. Dort haben ca. 60.000 Häftlinge unter extremer Unterernährung und erschöpfender Gewalt gearbeitet. Nach Kriegsende und der Befreiung des Lagers hat Le Lionnais den Essay „Die Malerei in Dora" geschrieben. Dort erzählt er wie er Erzählungen und Beschreibungen von Kunstwerken eingesetzt hat, damit er und seine Freunde ermutigt wurden solange sie inhaftiert waren. Es ist eine Erzählung vom Sieg des menschlichen Denkens, der „Hirn-Malerei" unter der nationalsozialistischen Perversion. Eine Erzählung von der Kraft der Kunst, wenn die Realität unerträglich ist.

 

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